Retail-Banken haben die Relevanz eines konsequenten Kundenfokus erkannt und ihre Angebote auf Basis datengetriebener Erkenntnisse noch stärker digitalisiert. Banken mit umfassender digitaler Kompetenz haben hier einen substanziellen Vorteil, traditionelle Bankhäuser mit dichtem Filialnetz müssen dafür umso schneller und radikaler umdenken. Eine Notwendigkeit, die durch die aktuelle Situation weiter beschleunigt wird.
Plötzlich ist er da: Der Kunde aus dem Jahr 2025
Corona hat die Welt auf einen Schlag drastisch verändert: das „New Normal“ – die durch COVID-19 geänderte Lebensrealität – bringt enorme Veränderungen in Kundenverhaltensweisen mit sich, welche in dieser Ausprägung nicht vor 2025 zu erwarten waren.
Weltweit verbringen Menschen mehr Zeit zu Hause. Dies beschleunigt die Einführung digitaler Technologien, wie Online/Mobile Banking oder Videokonferenzen. Das kontaktlose Bezahlen ist für die bargeldverliebten Deutschen nun auch bei physischen Einkäufen die bevorzugte Zahlmethode. Zudem hat die Akzeptanz von rein digitalen Angeboten weiter zugenommen.
Diese Auswirkungen auf das Konsumverhalten der Menschen führen für Retail Banken zu einem plötzlich einsetzenden „Zeitsprung“, denn die Krise beschleunigt bereits bestehende Entwicklungen im Schnellvorlauf – weg von transaktionalen Filialangeboten, hin zu hybriden (physisch + digital) oder rein digitalen Betreuungsmodellen.
Quo Vadis Retail Banken?
Die geringere Abhängigkeit von Filialen bedeutet, dass das rein transaktionale Filialgeschäft rapide an Relevanz verliert und letztendlich nicht länger wirtschaftlich sein wird. Neueste Nachrichten über Filialschließungen der größten deutschen Retail-Banken bestätigen diesen Trend. Allein die Deutsche Bank kündigte an, 20% der Filialen zu kürzen, und auch die Commerzbank plant, ihr Filialnetz deutlich zu minimieren. Wird die Bankfiliale in der Zukunft von digitalen Angeboten gänzlich ersetzt werden?
Ich schätze, dass dies in Deutschland höchstwahrscheinlich nicht der Fall sein wird, da hiesige Bankkunden historisch gesehen schon immer großen Wert auf die persönliche Betreuung vor Ort gelegt haben und ein Teil von ihnen dies auch weiterhin tun wird.
Dennoch wird die gesteigerte Akzeptanz digitaler Lösungen dazu führen, dass einige Banken noch verstärkter oder vollständig auf ein digitales Vertriebs- und Geschäftsmodell umstellen werden, um die Wettbewerbsvorteile einer schlankeren digitalen Infrastruktur zu nutzen.
Die Bankfiliale benötigt ein neues und ganzheitliches Konzept, bei der die (digitale) Kundenbindung im Mittelpunkt steht.
Aus meiner Sicht gibt es also zwei wesentliche Überlebensstrategien für Retail Banken:
1. „Hybrid Banking“
Warum? Der „Human Touch“ in der Kundenbetreuung bleibt weiterhin ein wichtiger Bestandteil der Banking Experience. Auch wenn Kosteneinsparpotentiale durch Filialschließungen zunächst verlockend erscheinen, stellen Filialen einen der größten Differenzierungsfaktoren gegenüber „Digital Challenger Banken“ dar. Sie sollten daher nicht leichtfertig aufgegeben, sondern mehrwertstiftend in neue Konzepte integriert werden. Ein hybrider Ansatz ist demnach für Legacy Banken mit etabliertem Filialnetz sinnvoll.
Wie? Die Rolle der Bankfiliale sollte in einem hybriden Ansatz neu definiert und durch innovative Filialkonzepte weiterentwickelt werden. Es gilt, die Vorteile der persönlichen Interaktion gemeinsam mit dem digitalen Angebot in eine nahtlose und kanalübergreifende Customer Experience zu integrieren.
Was? Differenzierung erfolgt über ganzheitliche Banking Experience mit hybrider Kundenbetreuung (digitale Beratungsangebote kombiniert mit neu definierten „Self-Service“ oder physischen Beratungsangeboten in der Filiale, z.B. virtuelles Hinzuziehen von Experten für komplexe Transaktionen). Filialdienstleistungen werden über ein Paket-basiertes Preismodell angeboten (z.B. „Online Only“ Konto vs. „Premium Konto“ inkl. Expertenberatung in der Filiale) und Kunden werden zunehmend in Poolmodellen und Routing über Servicecenter betreut.
2. „Digital Only“
Warum? Ein substanzieller Anteil der Kunden hat sich bereits heute auf rein digitale Angebote eingestellt. Diese Kunden suchen vor allem die Möglichkeit, Bankprodukte flexibel in ihrem dynamischen Alltag zu beziehen. Der „Digital Only“ Ansatz ist sinnvoll für junge Banken ohne dichtes Filialnetz, die ihre digitale Agenda bereits vorangetrieben haben.
Wie? Der Fokus sollte auf ein 100% digitales Geschäftsmodell gerichtet sein und Filialen durch digitale Plattformen, Kanäle und Prozesse ersetzt werden. Hierfür müssen innovative Ansätze im Sinne von digitalen Angeboten und Betreuungsmodellen entwickelt und implementiert werden.
Was? Eine Differenzierung gelingt über ein innovatives, digitales Produktportfolio, sowie über datengetriebene Personalisierung bei Anwendung eines differenzierten und wertbasierten Preismodells. Die Kundenbetreuung und -beratung erfolgt dabei komplett digital und remote.
Durch neue Rahmenbedingungen Chancen ergreifen
Für Retail Banken gilt es nun, sich zügig mit dem neuen Status Quo nach COVID-19 und dessen Implikationen zu befassen. Wichtig ist, die veränderten Rahmenbedingungen auch als Chance zu begreifen: Durch die rasanten Entwicklungen ist es Retail Banken nicht nur möglich, in die nahe Zukunft zu schauen, sondern diese schon heute für sich zu nutzen. Sie können die zukünftige Retail Banking Experience neu denken und proaktiv mitgestalten.