Kleine und mittlere Unternehmen stehen europaweit für ein Banking-Ertragsvolumen von jährlich 105 Milliarden Euro und rund 20 Prozent des gesamten Kreditvolumens. Ein ganz besonderes Gewicht hat der Mittelstand hierzulande, gilt er doch als Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft. Viele Länder weltweit beneiden uns um unsere diversifizierte und schlagkräftige Wirtschaftsstruktur, die wir jetzt dringend bewahren müssen. Dabei sind Banken besonders gefordert – im ganz eigenen Interesse.
Neue Rezepte für KMU-Geschäft der Zukunft
Als ich im letzten Jahr über die notwendige Neubegründung des besonderen Verhältnisses zwischen Banken und ihren Mittelstandskunden bloggte, da war ein exogener Schock wie COVID-19 noch nicht zu erahnen. Jetzt, eine Pandemie samt Konjunktureinbruch später, erscheint eine Neuorientierung der Finanzinstitute im Mittelstand umso wichtiger denn je. Sicher, Banken haben im Auge des Sturms einen guten Job gemacht und eine Schlüsselrolle bei der konkreten Umsetzung der staatlichen Stabilisierungsmaßnahmen und Rettungspakete gespielt. Viele Institute standen ihren Firmenkunden mit unbürokratischer Hilfe zur Seite. Den konjunkturellen Einbruch, der auch massiv auf das Bankengeschäft durchschlagen wird – schon jetzt sind massive Forderungsausfälle absehbar – werden sie damit aber kaum kompensieren können. Hinzu kommt der auch weiterhin intensive Wettbewerb mit Fintechs und BigTech-Spielern, der auch im Post-COVID-19-Umfeld bestehen bleibt. Banken brauchen also neue Rezepte, um erarbeitetes Kundenvertrauen zu stärken und gleichzeitig profitable sowie wettbewerbsfähige Lösungen im Mittelstandsgeschäft zu entwickeln.
Wir sehen hier in unserem aktuellen Point of View vier Eckpfeiler, die Banken dabei als Orientierungspunkte dienen können:
- Empathie
- Responsivität
- Fokussierung
- Effizienz
Dabei mag der Terminus einer empathischen Bank zunächst etwas Verwunderung hervorrufen. Er bedeutet aber eigentlich nichts anderes, als dass sich Finanzinstitute stärker in ihre Firmenkunden hineinversetzen. Banken werden Unternehmen künftig stärker dabei unterstützen müssen, ihr Geschäft erfolgreicher zu machen. Genau hier liegt auch ein zentrales Einfallstor für neue Wettbewerber. Von diesen und ihren digitalen, kostengünstigen und transparenten Angeboten – von alternativen Finanzierungsangeboten bis hin zur Lieferkettenfinanzierung – fühlen sich vier von zehn KMUs nach unseren Analysen besser verstanden und fairer behandelt als von ihrer Hausbank.
Dafür bedarf es eines ganz neuen Niveaus der Responsivität, eines weit besseren Verständnisses für den Mittelstand. Das ist alles andere als trivial, schließlich ist dieser ebenso vielfältig wie groß. Jenseits geübter Segmentierungstechniken und Interaktionsmodelle müssen Banken künftig ein tiefes Bewusstsein für die Bedürfnisse, Befindlichkeiten und das Verhalten der Unternehmen entwickeln. Umsatzgrößen-Cluster und One-size-fits-all-Produkte sind da nur wenig hilfreich. Künftig werden zudem viele Lösungen auf Augenhöhe gemeinsam zwischen Bank und Unternehmen kreiert. Auch Pricing, Kanäle und Servicemodelle müssen dann weit individueller zugeschnitten werden. Um im Kundenzufriedenheitswettbewerb zu gewinnen, adressieren responsive Banken die spezifischen Bedarfssituationen mit passgenauen Lösungen.
Mensch und Maschine als starkes Beratungsdoppel
Möglich wird eine solche Banking-Individualisierung in der Breite durch den dritten Eckpfeiler, die Fokussierung. Banken müssen auf einen deutlich erweiterten Informationspool zurückgreifen, um bedürfnisgerechte Services und Beratungsleistungen anzubieten. Bislang war es in der Vielfalt des Mittelstands nämlich oft so, dass einige Unternehmen unter- und die anderen überbetreut wurden, weil schlicht das notwendige Wissen fehlte. Vorreiter arbeiten aber inzwischen mit makroökonomischen Daten, dynamischen Industriemodellen und Szenario-Analysen. Darüber hinaus finden bei ihnen endlich auch die intern schon immer verfügbaren Informationen – von Kontoumsätzen bis hin zum Kundenverhalten – eine stärkere Verwendung. Zusammen mit zahlreichen qualitativen Daten wird ein hochgranulares Bild der Kunden vermittelt, das den konkreten Beratungsbedarf offenbart.
Um dies realistisch umzusetzen, benötigen unsere Finanzinstitute schließlich insgesamt effizientere Strukturen auf Grundlage neuer Technologien, den vierten Eckpfeiler. Diese erreichen sie über eine konsequente Transformation hin zum hochindividuellen KMU-Geschäft mit Einsatz von AI, Machine Learning, intelligenter Automation und Cloud-Lösungen einerseits und über den Aufbau von Ökosystemen mit hochspezialisierten Partnern andererseits. Banken müssen standardisierte Services für KMUs, aber auch aufwendige regulatorische Prozeduren, beispielsweise im Rahmen der KYC- und Geldwäsche-Compliance, so weit wie möglich automatisieren. Nur so setzen sie wertvolle Ressourcen bei den Firmenkundenberatern frei, die sich dann, ausgerüstet mit der Power und dem Wissen auf Grundlage der neuen Technologie im Hintergrund, ganz dem individualisierten Beratungsgeschäft in der Breite widmen können. Und sie sollten ruhig mutiger Partner in ihre Banking-Ökosystem integrieren, um ihren Kunden ein erweitertes Beratungsspektrum anzubieten. Spezialisierte Spieler können bestimmte Servicebausteine einfach weit besser und effizienter anbieten als die Bank in Eigenregie. Erst mit einem Ökosystemansatz können individualisierte Services kosteneffizient erbracht werden.
Ich glaube, genau jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, eine Standortbestimmung für die Banking-Rolle im Mittelstandsgeschäft vorzunehmen. Dabei muss nicht unbedingt alles auf einmal und sofort angepackt werden. Wichtig ist vielmehr die Entwicklung einer Vision, verbunden mit klar abgrenzbaren ersten Schritten der Transformation. Der Mittelstand braucht Banken, die ihm bei der Bewältigung der vor ihm liegenden Herausforderungen unterstützen und zur Seite stehen. Banken sollten diese Chance in ihrem ganz eigenen Interesse, einem profitablen KMU-Geschäft der Zukunft, ergreifen.