Vergangenes Wochenende habe ich eine Push-Nachricht von Netflix ‘Vorschlag für Frédéric: «The Great Hack» dürfte Ihnen gefallen’ erhalten. Artificial Intelligence (AI) hat hier ganz sicher (mit)bestimmt, was mir gefallen dürfte. Vermutlich hat AI auch den Zeitpunkt der Push-Nachricht bestimmt. Netflix startete in einer analogen Industrie mit einem physischen Produkt, aufwendigen operationalen Prozessen und einem suboptimalen Produktfindung- und Marketingsprozess. Innerhalb von nur wenigen Jahren hat Netflix die Möglichkeiten von AI und Informationstechnologie genutzt, um ein komplett digitalisiertes, automatisiertes und individualisiertes Kundenerlebnis zu schaffen.
Auch eine meiner Banken schickt mir jeweils ‘Research’ über mobile push. Ich bezweifle, dass die Bank für die Empfehlung ähnlich viel AI verwendet wie Netflix. Es zeigt aber, dass meine Bank den Anwendungsfall erkannt hat und nutzen möchte. Das ist kein Einzelfall. Unsere Studie zeigt, dass fast alle Vermögensverwalter die Möglichkeiten und Vorteile von AI sehen und sich bewusst sind, dass Data, Analytics & AI zentral sind, um die Wachstumsziele zu erreichen. In der Schweiz haben fast alle Vermögensverwalter Ideen, Ansätze und Piloten, um die Möglichkeiten von AI zu nutzen. Einige nutzen Data & AI für hyper-personalisierte Nachrichten, andere als Frontsupport um mittels Signalerkennung, Spracherkennung und ‘Natural Language Processing’ (NLP) den Kundenberater zu unterstützen. Und nochmals andere nutzen Data & AI, um die Effizienz zu erhöhen wie z.B. Prozessautomatisierung durch Texterkennung. Letzteres hat sich insbesondere im Frühling 2020 beim Ansturm auf die COVID-19-Kredite als nützlich erwiesen.
More pilots than an airline
Obwohl die meisten Vermögensverwalter die AI-Reise gestartet haben, geben rund 76% der Befragten in unserer Studie zu, dass sie bisher Mühe hatten, das ‘grosse’ Werteversprechen einzulösen. Diese Aussage reflektiert sich insbesondere im ‘Return on AI Investments’. Hier zeigen sich grosse Unterschiede. Einige wenige ernten messbare Resultate, die sich in der Profit & Loss reflektieren; die grosse Masse befindet sich jedoch in der ‘Proof-of-Concept Factory’ Phase: Analytisch spannende Ideen werden im Sandkasten getestet, um datengetrieben Hypothesen zu validieren. Die erzielten Erfolge werden gut aufbereitet, um dem Senior Management und der Welt zu sagen ‘Wir machen AI’. Gleichzeitig wird vergessen, dass erst die weniger spektakuläre ‘Skalierung’ und Integration in die operativen Prozesse zu einem messbaren und nachhaltigen Erfolg führt.
Gerade für Schweizer Vermögensverwalter gibt es einige Hürden und Hindernisse bei der Skalierung. Zum Verständnis:
a) Meine Bank und Netflix sind in Bezug auf Datenhandhabung nicht vergleichbar. Dies hängt sowohl an dem lokalen Datenschutz als auch an dem Auftrag und Verständnis von mir als Kunde.
b) Netflix ist bekannt für das moderne technologische Fundament (‘Microservice Architektur’) – ein besonders fruchtbarer Boden für Agilität und Analytics. Die Schweizer Banken mit den über Jahrzehnte und im Kontext vom Bankgeheimnis entstandenen Plattformen haben hier eine andere Ausgangslage.
c) Gerade im Geschäft am Point of Sale haben persönliche Kontakte und Erfahrung einen grossen Stellenwert. Neue Ideen müssen behutsam und mit dem Kundenberater zusammen angegangen werden, um AI erfolgreich zu integrieren und den Kundenberater sinnvoll zu ergänzen.
Was können wir von den Leaders lernen?
Unsere Studie und die erfolgreichen Beispiele am Markt zeigen jedoch, dass Skalierung von AI auch im Vermögensverwaltungsgeschäft möglich ist. Bei den Leaders beobachten wir die folgenden Erfolgsfaktoren:
1) ‘Intentional AI’: AI wird Business und wertfokussiert betrieben. Was ist die Geschäftsstrategie und wie kann AI helfen, diese zu erfüllen? Soll das existierende Modell verbessert werden oder soll (ähnlich wie damals bei Netflix) ein neues Modell definiert werden? AI kann bei der Kundenakquise, Mandatsdurchdringung, Transaktionsgebühren, Abwanderungsreduktion, Betriebskostenreduktion oder bei neuen Produkten & Services helfen. Das Business muss die Richtung vorgeben und die Probleme/Ziele benennen. Die Leaders haben dabei auch volle Transparenz über den Wertbeitrag und Erfolg der Massnahmen. Nur so können die guten und die schlechten Ansätze schnell datengetrieben identifiziert und selektioniert werden.
2) ‘Tune out data noise’: Die Leaders legen Wert auf die saubere Datengrundlage, -haltung und -pflege. Beispiele sind ein gemeinsames Verständnis der relevanten Daten (e.g. was ist ein Kunde?) über die Bank, saubere Verantwortlichkeiten für den Unterhalt (non-delivery Notification für eine Kundenemail Adresse – WHO cares?) und eine ‘Demokratisierung der Daten’, um datengetriebenes Vorgehen über die Bank möglich zu machen. Zentral sind hierbei auch die Investments in (Public) Cloud-Lösungen, um die technologische Grundlage für Big Data, den Realtime-Charakter und für die Elastizität/ Skalierbarkeit zu schaffen und weitere innovative Technologien zu nutzen.
3) AI ist ein Teamsport. ‘Data scientists’ sind wichtig. Erfolg gibt es aber erst, wenn über multidisziplinäre Teams mit Businessvertreter, Toolowners, Technology etc. zusammenarbeiten. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass zum einen die Data Scientists die richtigen Probleme lösen und zum anderen die entwickelte Lösung vom Business akzeptiert und genutzt wird.
Ich will nicht sagen, dass das die drei einzigen Erfolgsfaktoren sind. Dafür ist das Thema zu breit. Mit Sicherheit kann ich aber sagen, dass die verschiedenen Vermögensverwalter in der Schweiz das Thema AI mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und Einsatz angehen. Wichtig ist hingegen für alle, dass die AI-Rendite für gegebenen Einsatz in AI optimiert wird. Und hier sehe ich viel Potential.